„Ohne angemessene Preise kann es keine angemessenen Löhne und Gehälter geben.“ - Interview mit Walter Winkler über die Teilnahme an der vmf-Protestaktion
Am 8. September 2023 rief der Verband medizinischer Fachberufe e.V. (vmf) zu einer Protestaktion gegen die gesundheitspolitischen Konsolidierungspläne von Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor auf. Im Einzelnen forderte der vmf auch eine Weiterentwicklung der zahntechnischen Vergütung in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Grundlage der tatsächlichen Kosten. Seitens des VDZI nahm Walter Winkler, Bevollmächtigter des Vorstandes, an der Kundgebung teil.
13.09.2023
In seiner Rede unterstrich Walter Winkler, dass der VDZI die Auffassungen des vmf teile und daher die Protestaktion unterstützte. Gerade die Weiterentwicklung der zahntechnischen Vergütung ist eine der zentralsten Forderungen des VDZI, welche zuletzt am 26. April 2023 öffentlichkeitswirksam im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages vorgetragen wurde – leider ohne Erfolg. Die Dentallabore des deutschen Zahntechniker-Handwerks brauchen im Rahmen des GKV-Systems eine wirtschaftliche Auskömmlichkeit, um ihre wichtige Funktion in der Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigem Zahnersatz aufrechterhalten zu können. Bei steigenden Kosten für Energie, Transport, weiterhin gestörten Lieferketten und hohen Inflationsraten sind starre und restriktive Deckelungen von pauschalen Vergütungen kein gangbarer Weg. Im Interview mit Zahntechnik TELESKOP spricht Walter Winkler über die Teilnahme an der Demo in Berlin.
Weshalb hat der VDZI die Protestaktion des vmf unterstützt?
Walter Winkler: Wir haben diese Demonstration unterstützt, weil wir der Überzeugung sind, dass die Gesundheitspolitik am Ende einen zentralen wirtschaftlichen Zusammenhang anerkennen muss, der allein zukünftig die Strukturen und die Qualität der Gesundheitsversorgung sichern kann: Das ist der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der erzielbaren Preise für ein Produkt und den hieraus resultierenden Möglichkeiten in neue Angebote zu investieren, Innovationen einzuführen und insbesondere: faire konkurrenzfähige Löhne zu zahlen.
Ob man es politisch einsehen mag oder nicht: Ohne angemessene Preise kann es keine angemessenen Löhne und Gehälter geben.
Dieses Anliegen wird seitens des VDZI doch schon seit Jahren immer wieder aufgegriffen.
Walter Winkler: Ja, der Gesetzgeber hat den Zahntechnikerinnen und Zahntechnikern schon in früheren Zeiten gesetzliche Preisabsenkungen und Preisstopps beschert. Schon viele Jahre dürfen die Preise wegen der Bindung an den § 71 SGB V bei Leistungen der GKV nur noch maximal mit der Veränderung der sogenannten Grundlohnsumme verhandelt werden. Die tatsächliche Kostenentwicklung spielt dabei keine Rolle, auch nicht, wenn es außerordentliche Problemlagen gibt.
Können Sie das konkreter fassen?
Walter Winkler: Zwei Beispiele: Die Pandemie hat für die Aufrechterhaltung der Produktion und dem Hygieneschutz zu deutlichen Sonderkosten geführt. Was sagen die Krankenkassen? Für einen Ausgleich der pandemiebedingten Hygiene- und Schutzkosten fehle die gesetzliche Grundlage. Nun haben wir seit 2 Jahren eine Kosteninflation. Seitdem haben sich insbesondere die Dentalmaterialien und die Energiekosten drastisch verteuert. Die allgemeine Kosteninflation in den Laboren ist insgesamt deutlich höher als die jährliche Veränderung der Grundlohnsumme, die gesetzlich als Preisdeckel gilt. Den Vertragspartnern ist jedoch gesetzlich ein Kostenausgleich verboten. Das muss und kann verändert werden!
Was hat das für Konsequenzen für die zahntechnischen Betriebe?
Walter Winkler: Das Gesundheitshandwerk Zahntechnik wird mit dem Preisdeckel wirtschaftlich gesehen immer weiter und schleichend von der allgemeinen Wirtschaft abgekoppelt. Es ist Fakt, dass die zahntechnischen Labore im Wettbewerb um qualifizierte Auszubildende und Fachkräfte weiter geschwächt werden, die jedoch im gesamten Gesundheitswesen so notwendig gebraucht und knapp sein werden wie nie.
Auch die Löhne können deshalb nur unterproportional steigen. Bleibt es bei der hohen Kosteninflation fallen das Realeinkommen und die Unternehmereinkommen gleichermaßen drastisch. Der Beruf wird so weiter unattraktiv, die Bewerberzahlen sinken weiter und die jungen Fachkräfte wandern - quasi zum Inflationsausgleich - ab in die kapitalintensive Industrie, die diese Fachkräfte dringend sucht.
Sie sprechen die Lohnsituation an.
Walter Winkler: Ja, wenn es eines klaren Alarmsignals und eines Beweises bedurft hätte, dass etwas nicht stimmt mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Zahntechnikerinnen und Zahntechniker dann ist es die Tatsache, dass von der Erhöhung des Mindestlohnes in den letzten Jahren 25 % der ausgebildeten Zahntechnikerinnen und Zahntechniker bundesweit, und sogar im Osten 40 % betroffen waren. Ganz zu schweigen von den weiteren 15 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zumeist als Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte die flexible, termintreue Eingreiftruppe als Boten und Packer für die Service- und Lieferdienstleistungen des Labors bilden.
Und was sich darüber hinaus bereits abzeichnet ist: Schlechte Perspektiven und fehlende Fachkräfte wirken sich auch nachhaltig auf die zukünftige Unternehmensnachfolge aus. Altersbedingt schließen mittlerweile viele Laborinhaber. Ohne attraktive Rahmenbedingungen folgt diesen niemand nach. Die Gefahr besteht, dass die Sicherung eines flächendeckenden Angebotes im ländlichen Raum gefährdet ist. Das ist das realistische negative Szenario, das uns hier eint und das Arbeitnehmer und Unternehmer nicht wollen und was gesundheitspolitisch nicht gewollt werden darf. Für dieses Szenario haben die politisch Verantwortlichen allerdings bisher leider kein Ohr. Das berühmte Kind muss erst in den Brunnen fallen.
Eine gefährliche Entwicklung, was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Walter Winkler: Ja, der VDZI hält das für gefährlich und für keine nachhaltige Politik. Denn es gibt auch in der Wirtschaft so etwas wie Kipppunkte, an denen es zu spät ist.
Gerade angesichts der demografischen Entwicklung muss jeder wissen, dass auch in der Zahntechnik gilt: Das hohe und flächendeckende Versorgungsniveau der Bevölkerung kann nur dann gesichert werden, wenn ausreichend Fachkräfte ausgebildet, gewonnen sowie die bewährten Kräfte gehalten werden.
Ich sage es hier ausdrücklich: Das gilt auch für alle Berufe im Gesundheitswesen als Teilbereich einer Wirtschaft, denen es zukünftig an Fachkräften mangeln wird wie nie zuvor. Deshalb brauchen die zahntechnischen Betriebe und ihre Fachkräfte endlich bessere Rahmenbedingungen, von denen ich hier nur zwei wichtige Elemente nennen will:
- Die Betriebe müssen erstens vom gesetzlichen Preisdeckel bei den Verhandlungen befreit werden. Krisen verlangen keine zentrale Steuerung, Krisen brauchen für alle mehr Flexibilität. Wir fordern deshalb auch mehr Vertrauen in die Vertragspartner. Der GKV-Spitzenverband als mächtige Organisation und der VDZI sind allein in der Lage, faire und sachgerechte Vertragslösungen zu vereinbaren. Nur so eröffnet man die Chance, dass die Betriebe leistungsgerechte und konkurrenzfähige Löhne zahlen können, dass es aber auch nach dreißig Jahren endlich zu einer Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse für die ostdeutschen Zahntechnikerinnen und Zahntechniker kommen kann.
- Zweitens muss das duale Ausbildungswesen umfassend gestärkt werden und die Kosten der dualen Ausbildung müssen umverteilt, die Ausbildungsbetriebe müssen belohnt und von Kosten der Ausbildung entlastet werden. Denn es wird demographisch bedingt zu extremen Personalknappheiten und zu einem intensiven Wettbewerb um Fachkräfte kommen, den die Gesundheitshandwerke, auch das Zahntechniker-Handwerk, gegen eine kapitalintensive Industrie sonst nicht gewinnen kann.
Das Youtube-Video sowie Impressionen zur Protestaktion finden Sie hier